Klick-Populismus: AfD und Die Linke gewinnen Facebook-Wahlkampf
Von Dr. André Haller
Wahlkampf zwischen Infostand und Social Media
Die Bundestagswahl und die vorausgegangene Kampagne stellen aus einigen Gründen eine Zäsur in der politischen Geschichte der Bundesrepublik dar: Der Bundestag wächst auf sieben Parteien an und wird dadurch eine stärkere Polarisierung in den Debatten sowie eine schwierigere Mehrheitsfindung erleben. Erstmals seit den 1950ern zieht zudem mit der AfD eine rechtsgerichtete politische Kraft in das deutsche Parlament ein. Der Wahlkampf war, verglichen mit vorangegangenen Bundestagswahlen, außerdem durch einen stärkeren Einsatz von Online-Medien gekennzeichnet. Vor allem die mitgliederstärkste „Social Network Site (SNS)“ (boyd & Ellison, 2007) in Deutschland, Facebook, wurde von den Parteien stark in der Kampagnenkommunikation genutzt. Wahlkampfkommunikation ist zunehmend durch Vielkanalbedingungen (Schulz, 1998) gekennzeichnet: Waren die ersten Bundestagswahlkämpfe nach dem 2. Weltkrieg vor allem durch Printmedien und dem Radio geprägt, so kam mit der flächendeckenden Verbreitung des Fernsehens ein weiteres wirkmächtiges Medium hinzu. Mit der Einführung des Zweiten Deutschen Fernsehens 1963 wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunksektor weiter ausdifferenziert. Der Sendestart privater Rundfunkstationen ab Ende der 1980er-Jahre bot Wahlkampfzentralen weitere Kanäle an, zugleich erschwerte sich die Kommunikationsarbeit der Parteien dadurch weiter. Ab Ende der 1990er begann die Erfolgsgeschichte des World Wide Webs, also der Internetangebote, die für eine breite Masse zur Verfügung gestellt wurden. Die Bedeutung des Internets für deutsche Wahlkampagnen wurde vor allem wegen der Vorwahlkampagne von Howard Dean im Jahr 2004 und der Barack Obama-Präsidentschaftskampagne 2008 als sehr hoch angesehen (Jungherr & Schoen, 2013).
Tatsächlich kann erst der 2017er-Wahlkampf als echter Social Media-Wahlkampf in Deutschland angesehen werden: Bezahlte Zielgruppenwerbung auf Social Media-Plattformen wurde in diesem Jahr forciert genutzt. Zudem zeigt die öffentliche Debatte um „Fake News“ und „Social Bots“ (Haller, 2017), dass Medien und die Politik digitalen Plattformen wahlentscheidende Relevanz zusprechen. Bevor Fragen zur Wirkung von digitalen Plattformen auf die Wahlentscheidung behandelt werden können, müssen zunächst die tatsächlichen Reichweiten dieser Instrumente gemessen und dargestellt werden. Dieser Aufsatz behandelt die Facebook-Kampagnen der Parteien, die 2017 in den Bundestag einzogen.
Probleme und Potentiale der Messung von Online-Kampagnen
Auf den ersten Blick stellen Onlinedaten für Sozialwissenschaftler eine einfache Datengrundlage für Forschungsarbeiten dar: Twitter- und Facebookdaten liegen in standardisierter Form dar und können mit passender Software einfach gesichert und anschließend ausgewertet werden. Tatsächlich bringt Onlineforschung zahlreiche methodische Probleme mit sich: Im Gegensatz zu manifesten Inhalten in gesicherten Print- oder Rundfunkdaten sind Onlineinhalte von einer hohen Flüchtigkeit und Dynamik geprägt. Der Inhalt von Websites und Social Media-Seiten kann sich laufend ändern, beispielsweise wenn neue Hyperlinks hinzukommen oder wegfallen. Ein weiteres Problem ergibt sich bei der Abgrenzung der Analyseeinheiten, die durch das Prinzip der Hypertextualität hervorgerufen wird: Social Media-Seiten verweisen häufig auf weitere eigene Inhalte auf anderen Plattformen, was die Eingrenzung des Untersuchungsmaterials schwierig macht. (Welker & Wünsch, 2010). Forschungspraktische Probleme ergeben sich zudem beim Zugriff auf Daten reichweitenstarker Plattformen wie Snapchat und Instagram, die vor allem von jüngeren Zielgruppen genutzt werden (Haller, 2017). Die Anbieter dieser Applikationen bieten bisher keinen Datenzugriff an, was die Analyse der politischen Mediennutzung eines wichtigen Teils des Elektorats schwierig, ja gar unmöglich macht.
Der vorliegende Text nutzt eine automatisierte Sammlung der Formaldaten der Facebookseiten von CDU, CSU, SPD, B90/Grüne, FDP, Die Linke und der AfD, also der Parteien, die langfristig bei Umfragen über der 5%-Hürde lagen. Der Untersuchungszeitraum wurde vom Tag des TV-Duells am 03.09.2017 bis einschließlich des Wahltags am 24.09.2017 festgelegt. Die Daten wurden mittels der Applikation Netvizz gesammelt, die die Programmierschnittstelle Facebooks nutzt (Rieder).
Für den Vergleich der Facebook-Reichweiten müssen nachvollziehbare Faktoren herangezogen werden, die standardisiert abgefragt werden können. Operatoren wie Reaktionen (Likes, Herzen etc.), Shares und Kommentare sind für politische Akteure deshalb von Bedeutung, weil eine höhere Anzahl die Visibilität des Beitrags und damit die der Seite insgesamt erhöht. Auch negativ behaftete Operatoren, wie Emoticons der Wut, Trauer oder des Entsetzens, machen SNS-Seiten sichtbarer und tragen damit zur Akkumulation von Aufmerksamkeit in der Multikanalumgebung des Wahlkampfes bei. Die von Schulz dargestellten „Vielkanalbedingungen“ (Schulz, 1998) trugen bereits in früheren Wahlkämpfen dazu bei, dass Aufmerksamkeit für die strategische politische Kommunikation verringert wurde. Durch die flächendeckende Nutzung von Internet-Medien wird diese Aufmerksamkeit weiter verknappt, was dazu führt, dass SNS-Reichweiten ein wesentlicher Faktor der Erfolgsmessung in Kampagnen sind.
Für die
vorliegende Analyse werden folgende Reichweitendimensionen im
Untersuchungszeitraum 03.09.2017 bis 24.09.2017 dargestellt:
Reichweitenkategorie |
Erläuterung |
Fans pro Seite |
Wie hoch ist die Anzahl der „Gefällt mir“-Klicks für die untersuchten Parteiseiten? (Stichtag: 02.10.2017) |
Anzahl der Beiträge |
Wie viele Beiträge wurden auf der Seite im Untersuchungszeitraum veröffentlicht? (Stichtag: 26.09.2017) |
Likes pro Beitrag |
Wie viele Likes erhielten die Parteien pro Tag? (Stichtag: 26.09.2017) |
Shares pro Beitrag |
Wie häufig wurden Beiträge von Usern geteilt? (Stichtag: 26.09.2017) |
Reaktionen, Kommentare und Shares pro Tag |
Wie viele Reaktionen (Likes, symbolische Darstellung von Likes, Herzen, Lachen, Wut, Entsetzen und Trauer), Kommentare und Shares erhielt die Seite pro Tag? (Stichtag: 26.09.2017) |
Tabelle 1: Untersuchte Reichweitendimensionen in Facebook
Reichweiten der Parteien und Spitzenkandidaten im Facebook-Wahlkampf 2017
Ein erster Indikator für den Reichweitenerfolg politischer Parteien sind die Like-Zahlen der jeweiligen Facebookseite (vgl. Tabelle 2).
Partei |
Zahl an Likes |
Anzahl der Posts |
AfD |
385.659 |
122 |
Die Linke |
245.013 |
59 |
CSU |
201.826 |
100 |
SPD |
182.406 |
101 |
CDU |
171.039 |
134 |
B90/Grüne |
175.131 |
61 |
FDP |
146.364 |
110 |
Tabelle 2: Like-Zahlen von Parteiseiten und Anzahl der Posts der Seiten (Stichtag „Like“-Zahlen: 02.10.2017, Stichtag Posts: 26.09.2017)
Like-Zahlen von Seiten sind, wie auch die Werte bei Beiträgen, grundsätzlich kritisch zu betrachten: Es ist unklar, ob und in welchem Ausmaß Seitenbetreiber Likes bei professionellen Anbietern zukaufen. Nimmt man die Werte jedoch als Reichweitenindikator hin, zeigen die obigen Zahlen eine Dominanz der beiden rechts- und linkspopulistischen Parteien AfD und Die Linke. Hinsichtlich der Anzahl der geposteten Beiträge zeigt sich die größte Aktivität bei CDU (134) vor der AfD (122), der FDP (110), der SPD (101), der CSU (100), den Grünen (61) und der Linken (59).
Betrachtet man die kombinierten Werte der Facebook-Emoticons (Likes, Herzen, Lachen, Wut, Entsetzen und Trauer), der geteilten Beiträge und der Kommentare, so ist in dieser Kategorie die AfD Spitzenreiter und nähert sich am Wahltag der 300.000er-Marke an (Abbildung 1).
Abbildung 1: Kombinierte Werte Facebook-Emoticons,
Shares und Kommentare pro Tag (Stichtag 26.09.2017)
Die AfD hat, mit Ausnahme des 20.09.2017, stets mehr Reaktionen pro Tag als die übrigen Parteien. Ein Mittelwertvergleich, der die Daten am Wahltag vernachlässigt, zeigt außerdem, dass die Partei mit 40.875 Reaktionen pro Tag weitaus höhere Werte erreicht, als die Mitbewerber. Die Linke hat durchschnittlich 13.128 Reaktionen täglich, gefolgt von der SPD mit 12.223, der CSU mit 10.516, der CDU mit 9.266, der FDP mit 7.608 und den Grünen mit 5.025 (alle Werte gerundet). Die AfD erzeugt damit mehr Reaktionen, als die Parteien der Großen Koalition insgesamt.
Das wesentliche Reichweiteninstrument sind Shares, also das Teilen von Posts durch die Facebook-User (Abbildung 2). Geteilte Beiträge werden von anderen Usern eher wahrgenommen, als Emoticon-Reaktionen. Auch in dieser Kategorie hatte die AfD mehr Erfolg im SNS-Wahlkampf, als andere Parteien. Im Schnitt wurde ein AfD-Post pro Tag 7.908 Mal geteilt, gefolgt von Die Linke mit 2.526, der SPD mit 2.232, den Grünen mit 1.015, der CDU mit 797, der FDP mit 682 und der CSU mit 677 (Wahltag ausgenommen, alle Werte gerundet). Zur Einordnung: Die Daten aller anderen sechs Parteien ergeben addiert 166.508 geteilte Beiträge und sind damit nur geringfügig höher als die AfD mit 166.075 Shares.
Abbildung 2: Shares pro Tag (Stichtag 26.09.2017)
Die Ergebnisse der Sharing-Analyse zeigen, dass es der rechtspopulistischen Partei besser gelingt, User zum Teilen zu Bewegen. Erneut liegt Die Linke vor den beiden Volksparteien CDU/CSU und SPD, was als Indiz gedeutet werden kann, dass Unterstützerinnen und Unterstützer populistischer Parteien mehr Online-Engagement zeigen, als die anderer politischer Bewegungen.
Erneut soll betont werden, dass die bloßen Sharing-Werte nichts über die tatsächliche Beliebtheit der Parteien auf der Plattform Facebook aussagen. Um sich der Popularität nähern zu können, wurden daher die reinen „Likes“, also der „Daumen hoch“-Operator, der – zumindest formal – Zustimmung signalisiert, im gesamten Untersuchungszeitraum gefiltert (Abbildung 3). Auch in dieser Untersuchungsdimension erreicht die AfD die höchste Platzierung mit 570.351 Likes für die Seitenbeiträge im Untersuchungszeitaum. Wie in den beiden vorherigen Kategorien folgt Die Linke (205.392). Die SPD erreicht 175.384, die FDP 140.855, die CDU 138.947, die CSU 118.989 und B90/Die Grünen 67.691 Likes.
Abbildung 3: Gesamtanzahl der Likes im
Untersuchungszeitraum (Stichtag 26.09.2017)
Fazit und Ausblick
Facebook-Reaktionen von Usern sind keine Indikatoren für die Beliebtheit einer Partei und die Anzahl der geposteten Beiträge sagt zunächst nichts über den Erfolg einer Online-Kampagne aus. Fest steht jedoch, dass der Social Media-Wahlkampf 2017 in Deutschland, insbesondere auf der reichweitenstärksten Plattform Facebook, mit einer Intensität geführt wurde, die in vorherigen Wahlkämpfen nicht wahrnehmbar war.
Die vorliegende Analyse der Kerndaten des Facebook-Wahlkampfes zeigt klare Tendenzen:
1) Die AfD kann als Online-Wahlsieger bezeichnet werden. Sowohl hinsichtlich der der Seiten-Likes (Tabelle 1), der Gesamtreaktionen (Abbildung 1), der Sharing-Zahlen (Abbildung 2) und der Like-Zahlen (Abbildung 3) überholte die Partei die politischen Mitbewerber klar. Dies gilt auch für das bereinigte Ergebnis nach Ausfilterung des eigentlichen Wahltages, der durch die intensive Medienberichterstattung eine Aufmerksamkeitsverschiebung hin zur AfD vermuten lässt.
2) Die Anzahl der Posts ist kein Indikator für den Erfolg hinsichtlich der dargestellten Reichweitenkategorien. Die durchaus hohen Zahlen an Posts von CDU, FDP, SPD und CSU haben keinen direkten Niederschlag in entsprechende Reichweitenkennwerte gefunden.
3) Populistische Parteien führten den reichweitenstärkeren Facebook-Wahlkampf. Neben den sehr hohen Werten der AfD verzeichnete auch Die Linke als linkspopulistische Partei hohe Reichweiten und schnitt in den analysierten Dimensionen besser ab, als die anderen Parteien.
Die vorliegende Kurzstudie beansprucht nicht, Aussagen über den gesamten Verlauf der Wahlkampagne zu machen. Dennoch können die letzten drei Wochen vor dem Wahltag als „heiße Phase“ des Online-Wahlkampfs bezeichnet werden: Der Datensatz beginnt nach dem TV-Duell, das in eine Phase fiel, in der laut einer repräsentativen Befragung 46% der Wahlberechtigten noch nicht wussten, welcher Partei sie ihre Stimme geben wollen (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2017). Dem Online-Wahlkampf kommt bei online-affinen Zielgruppen in dieser Phase eine entscheidende Bedeutung bei. Auch Menschen, die ihre politischen Informationen nicht vorrangig aus Online-Angeboten beziehen, kommen in dieser Phase durch die intensive Medienberichterstattung über skandalbehaftete Posts und aufsehenerregende Bilder mit den Online-Kampagnen der Parteien in Berührung. Das SNS-Prinzip der Viralität von Inhalten kommt denjenigen Akteuren zu Gute, die es schaffen, Anhängerinnen und Sympathisanten online zu mobilisieren. Den etablierten Parteien, ob Volks- oder Kleinpartei, steht in zukünftigen Wahlkämpfen eine große Aufgabe im Online-Campaigning bevor.
Literatur
Boyd, d. m., & Ellison, N. B. (2007). Social Network Sites: Definition, History, and Scholarship. Journal of Computer-Mediated Communication, 13(1), 210–230. https://doi.org/10.1111/j.1083-6101.2007.00393.x
Frankfurter Allgemeine Zeitung. (2017). Fast jeder zweite Wähler ist noch unentschlossen. Retrieved from http://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/bundestagswahl-unentschlossenheit-auf-hoechstniveau-15163692.html
Haller, A. (2017). Der Wahlkampf im Netz: Twitter, Facebook, Social Bots, Fake News und die Folgen. Politische Studien, 68(474), 12–21.
Jungherr, A., & Schoen, H. (2013). Das Internet in Wahlkämpfen: Konzepte, Wirkungen und Kampagnenfunktionen. SpringerLink : Bücher. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden; Imprint: Springer VS.
Rieder, B. Studying Facebook via data extraction. In H. Davis, H. Halpin, A. Pentland, M. Bernstein, & L. Adamic (Eds.), the 5th Annual ACM Web Science Conference (pp. 346–355). https://doi.org/10.1145/2464464.2464475
Schulz, W. (1998). Wahlkampf unter Vielkanalbedingungen: Kampagnenmanagement, Informationsnutzung und Wählerverhalten. Media Perspektiven. (8), 378–391.
Welker, M., & Wünsch, C. (2010). Methoden der Online-Forschung. In W. Schweiger & K. Beck (Eds.), SpringerLink : Bücher. Handbuch Online-Kommunikation (pp. 487–516). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.